Gaben, Strategie und Reife: Beobachtungen aus der Praxis für die Praxis.
Ich arbeite mit zwei Leuten zusammen, von denen ich ziemlich sicher bin, dass sie apostolisch begabt sind. Von der einen Person habe ich mehrere Predigten gehört. Eine war eine klassische Auslegungspredigt mit klarem Fokus auf Lehre, eine andere wies Auslegungselemente auf, war aber deutlich als prophetische Botschaft erkennbar.
Tritt die Gabenkombination von Lehre und Prophetie zusammen auf (vgl. Apg 13,1) und erfahre ich zudem, dass die Person durch eine Erscheinung des Auferstandenen (durch Bilder, Auditionen o.ä.; vgl. Apg 1,22 „mit uns Zeuge seiner Auferstehung“) zum Glauben gekommen ist, horche ich auf; denn härtere objektivere Kriterien gibt es meines Erachtens nicht.
Kann ich einen Apostel an seinem Tun erkennen?
Wenn der Apostel in voller Blüte steht, ist die apostolische Gabe einfach zu erkennen, schwieriger ist es bei jüngeren Leuten. Offenkundig scheint diese Begabung zunächst zu werden, wenn jemand „apostolisch“ Menschen anspricht, die Botschaft von Jesus vermittelt, für Menschen betet und Heilung, Zeichen und Wunder erlebt, wenn sich Jüngerschaft entwickelt und einfache Gemeinden entstehen. Ich möchte dieses Gesamtpaket der Einfachheit halber hier „paulinisches Schema“ nennen.
Doch kann jemand auch Apostel sein, dem das schwer fällt und der zunächst irgendeinen anderen Dienst sucht? Bei Petrus sehe ich zumindest Unterschiede zum „paulinischen Schema“. Bei Johannes habe ich Zweifel. Bei den anderen wissen wir nicht, wie sie gearbeitet haben. Auch sollte man nicht vergessen, dass Barnabas und Paulus als Quereinsteiger zur missionarischen Gemeindegründung gefunden haben (Apg 13,1ff). Die Jahre davor hatten sie nämlich als Lehrer und Propheten in der Gemeinde gedient und scheinen demnach nicht einfach durch ihr „apostolisches Tun“ als Apostel erkennbar gewesen zu sein.
Weiter ist zu bedenken, dass auch Evangelisten im Neuen Testament nach diesem „paulinischen“ Schema vorgehen (Apg 8,4-13). Und was ist mit denen, denen man diese Vorgehensweise antrainiert hat? Kurz: das Vorliegen oder Fehlen eines Wirkens nach diesem „paulinischen Schema“ sagt bei jungen oder jüngeren Menschen noch nichts Sicheres über das Vorliegen einer apostolischen Begabung aus. Es liegen bestenfalls Hinweise vor.
Apostel können evangelisieren – wenn auch weniger gut als Evangelisten. Entscheidend ist: Sie können noch viel mehr. Wenn erfahrene Leiter sich in der Begabung von aufstrebenden Leitern widersprechen, weil sie in derselben Person verschiedene Begabungen sehen, also eine eindeutige Zuordnung schwierig ist, kann das ein Hinweis auf eine apostolische Begabung sein. Es lässt sich z.B. eine Lehrbegabung feststellen. Dabei kommen die Predigten bei Außenstehenden sehr gut an (evtl. besser als bei den Gläubigen). Dazwischen treffen immer wieder prophetische Worte die Herzen und verhindern, dass diese Person von der Gemeinde fröhlich als Hirte wahrgenommen wird. Dabei begleitet diese Person mit großer Geduld junge Menschen in ihrer Entwicklung.
Vereinen Apostel alle anderen Begabungen des fünffältigen Dienstes in sich? Oder vermögen sie einfach alle Begabungen zu trainieren? Es gibt Überschneidungen zu den einzelnen anderen Gaben. Dabei können verschiedene Schwerpunkte vorhanden sein (abhängig von Persönlichkeit, Dienst- und Lebensphase und Dienstsituation des Apostels). Bei Paulus lassen sich Lehren, Prophezeien und Evangelisieren problemlos nachweisen. Bei Barnabas, dem Sohn des Trostes, scheint mir dazu auch die Hirtentätigkeit beobachtbar zu sein. Aber grundsätzlich gilt: Apostel sind anpassungsfähig (1 Kor 9,22b: „Ich bin allen alles geworden.“). Das macht es je nach Gemeindeumfeld schwierig, sie zu erkennen.
Nicht nur Gemeindegründer
Der Auftrag eines Apostels ist weit gefasst, nämlich: „Glaubensgehorsam zu erwirken und seinen Namen zu verbreiten unter allen Völkern, zu denen auch ihr gehört“ (Röm 1,5). Petrus und Paulus initiieren und steuern aktiv Lern- und Entwicklungsprozesse (Apg 15; 1 Kor; 2 Kor). Die für solche Prozesse notwendigen Fertigkeiten wie z.B. das Verständnis für systemische Zusammenhänge kann man meiner Auffassung nach in bestehenden Gemeindesystemen vielseitiger lernen als in Pioniersituationen.
Ein von Gott dazu häufig genutztes Werkzeug sind Konflikte. Diese lösen auch jüngere Apostel in Pioniersituationen in aller Regel leichter, da sie gegenüber jungen Gläubigen dominieren (Wissensvorsprung, Zeichen und Wunder usw.). In den Gemeinden, in denen gestandene Gläubige ihnen aufgrund ihrer charakterlichen und persönlichen „Unzulänglichkeiten“ kritischer gegenüber stehen, gelingt ihnen das nicht so leicht. Es gilt Verwandtschaftsverhältnisse, Seilschaften, Interessenkonstellationen etc. zu berücksichtigen. In einem solchen Umfeld wird die Lernerfahrung für die heranreifenden Apostel komplizierter, intensiver und damit fruchtbarer. Auch richten sie in Gemeinden in der Regel weniger Schaden an als in Pioniersituationen.
Sind Apostel Strategen?
Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Das Neue Testament kennt den Begriff Strategie nicht, doch bei Paulus und Barnabas kann ich eine Strategie erkennen. Bei Petrus und Johannes sehe ich sie nicht, die Texte geben es nicht her. Man könnte bei Philippus ein systematisches Vorgehen herauslesen, ob es das wirklich war, lässt sich nur schwer entscheiden (Apg 8,40). Von den anderen Aposteln wissen wir so gut wie nichts.
Ich rechne nicht damit, dass alle apostolisch begabten Menschen Strategen sind. Viele gute Truppenführer und Berufsoffiziere sind es nicht. Würde man diese Eigenschaft als Bedingung für diese Begabung sehen, würde man einen Aposteldienst von einer raren intellektuellen Fähigkeit abhängig machen, von der im Neuen Testament so nichts steht. Das erscheint mir wenig hilfreich.
Sind Apostel sozialverträglich?
Da Apostel als Missionare tätig sind und Menschen in die Jüngerschaft führen, werden höhere Anforderungen an ihre Sozialkompetenz wirksam. Wie steht es aber um ihre Sozialverträglichkeit? Diese scheint für Jesus kein Auswahlkriterium zu sein.
Man denke an Paulus! Vor seiner Begegnung mit Jesus besaß er eine große Affinität zu Gewalt. Er war ein Radikaler und scheute sich nicht, Tod und Folter über die zu bringen, die ihm als Sektierer galten (Apg 7,58; 8,1.3; 9,1.2.13f). Er war bereit zu töten. Seine Persönlichkeitsstruktur besaß Auffälligkeiten. Als Jesus ihn bekehrt, verordnet er ihm Leiden. Offensichtlich ist Leiden das Mittel, um Paulus so zu formen, dass er seiner Bestimmung gerecht werden kann (Apg 9,15f). Jesus initiiert einen Reifeprozess und es dauert etwa 16 oder 17 Jahre, bis Paulus zu seiner ersten Missionsreise aufbrechen darf. Leiden begleiten ihn sein ganzes Leben.
Auch die Donnersöhne Jakobus und Johannes sind auffällig (Mk 3,17). Sie neigen zur Gewalt (Lk 9,54f) und zeigen einen deutlichen Hang zur Macht (Mk 10,35ff). Wenn sich Johannes als Jünger bezeichnet, den Jesus lieb hat (Joh 12,23; 21,7.20), wäre es falsch, ihn als „Lieblingsjünger“ romantisch zu verklären: Johannes scheint derart gestrickt zu sein, dass Jesus ihn zuerst Liebe tanken lässt und ihm zuletzt einen riesigen Vertrauensbeweis gewährt (Joh 19,26f), bevor Johannes zu irgendetwas brauchbar wird. Er war ganz gewiss kein „lieber Junge“.
Beim Zeloten Simon (Lk 6,15; vgl. Mt 10,4; Mk 3,18) gehört Gewalt gegen die Besatzungsmacht zum Programm. Matthäus war seiner damals als asozialen verschrienen Tätigkeit beim Zoll berufsmäßig nachgegangen (Mt 9,9). Bei ihnen allen fragt man besser nicht nach ihrer Sozialverträglichkeit. Jesus aber nimmt sich die Zeit, um sie zu den Männern zu machen, zu denen er sie bestimmt hat – auch wenn es lange Jahre kostet.
Späte Entfaltung
Die beiden Personen mit apostolischer Begabung, mit denen ich zusammenarbeite, sind deutlich jenseits der 40 und bei beiden hat die Begabung erst in den letzten Jahren Profil gewonnen. Das spricht für die beiden. Denn als Barnabas und Paulus zur ersten Missionsreise aufbrechen (ca. 47/48 n. Chr.), sind auch sie keine jungen Männer mehr. Als sich Paulus kurz nach der Steinigung des Stephanus (Apg 7, ca. 30/31 n. Chr.) vor Damaskus bekehrt (Apg 9), war Barnabas schon zum Glauben gekommen (Apg 4,36f). Drei Jahre später kommt Paulus zum ersten Mal nach seiner Bekehrung wieder nach Jerusalem (Apg 9,26-30; Gal 1,18-24, ca. 33/34 n. Chr.) Barnabas ist zu diesem Zeitpunkt ein bewährter Mann. Jesus hat ihm also viele Jahre des Reifens gegönnt.
Petrus mag an Pfingsten einige Jahre jünger gewesen sein als Paulus, aber auch er war nicht mehr blutjung. Das dürfte nur für Johannes gegolten haben. Doch während Petrus der Wortführer ist (Apg 3,4.6.12ff; 5,29; 8,14.20ff), bleibt Johannes im Vergleich irgendwie farblos. Nach dem Martyrium seines Bruders Jakobus (Apg 12,1f) legen sich mehrere Jahrzehnte des Schweigens über sein Leben. Dann aber tritt uns Johannes in seinen Schriften in voller Reife und Schönheit als „Apostel der Liebe“ entgegen. Die Begabung mag früh erkennbar sein, zur Entfaltung gelangt sie allerdings mit der Reife. Gelegentlich habe ich bei sehr jungen Leitern die Begabung gespürt. Doch ihre Persönlichkeit reifte über Jahre und mit der Zeit profilierte sich die apostolische Begabung. Es lässt sich immer deutlicher erahnen, was kommen wird. Daher sollte man nicht zu früh zu viel erwarten.
Ganz vorsichtig empfehle ich darum: Führungsverantwortung sollten apostolisch begabte Leute in unseren Gefilden erst mit 40 tragen. Ihre Bestimmung dürfte dann nach einigen weiteren Jahren zur Blüte gelangen.
Christian Frei
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