Wenn wir in unserer Vision den Wunsch ausdrücken, dass Jesus in jedes Haus kommt, meinen wir damit auch eine Oikos-Struktur statt großer Gemeindezentren.
Alle Gemeindegründungen, die wir als Familie in den letzten Jahren miterlebt haben, starteten in einem Privathaus mit Gottesdiensten im Wohnzimmer. Mehr oder weniger unterschwellig war aber allen Beteiligten irgendwie klar: Eine „richtige“ Gemeinde wird das erst mit eigenen (gemieteten) Räumen oder einem Gemeindehaus!
Im Rückblick hört man interessanterweise oft Sätze wie diesen: „Ach, wie schön war das damals, als alles so unkompliziert war und wir uns noch alle kannten …“ Nun soll es jedoch beim Thema Hausgemeinde nicht um einen kuscheligen Rückzugsort für frustrierte und gemeindemüde Christen oder einen elitären Club der Heiligen gehen – ganz im Gegenteil: Ein Blick in die frühe Geschichte der Kirche macht klar, dass die Christen sich in den ersten drei Jahrhunderten vorwiegend in Privathäusern versammelten, bevor die ersten speziellen Versammlungsgebäude errichtet wurden.
Im weiteren Verlauf wurde die Kirchengeschichte auch zu einer Geschichte der Kirchengebäude, ohne die das Christentum heute kaum mehr vorstellbar ist. In diesem Beitrag möchte ich die zentrale Bedeutung des Hauses (griechisch oikos) für Mission und Gemeindegründung im Neuen Testament beleuchten und damit den Boden bereiten für praktische Überlegungen, wie auch in unserer westlichen Kultur im 21. Jahrhundert christliche Gemeinschaft im Haus gelebt werden kann.
Gemeinschaft in Privatunterkünften
Jesus begegnete den Menschen sehr oft in ihren Häusern und war dort ihr Gast. Er nutzte das Haus des Petrus in Kapernaum für seine Heilungs- und Lehrtätigkeit (Mt 9,27-31; 17,24-27; Mk 1,29.33; 2,1; 3,20; 9,33) und auch das Haus von Martha, Maria und Lazarus in Betanien scheint als Versammlungsraum und Lernort gedient zu haben (Joh 11,19.31; 12,1-9; Lk 10,38-42). Jesus sandte seine Jünger in die Städte und Dörfer (Lk 10,1-12; Mt 10,1-15). Dort sollten sie Häuser aufsuchen, deren Bewohner sie wohlwollend aufnahmen. Diese „Häuser des Friedens“ dienten als Ausgangsbasis für die weitere Mission.
Daneben besuchten Jesus und seine Jünger auch die Synagoge, den offiziellen jüdischen Versammlungsort, erfuhren hier jedoch auch immer wieder Kritik und Ablehnung. Ähnlich erging es Paulus.
Die Urgemeinde in Jerusalem lehrte und verkündigte das Evangelium sowohl im Tempel als auch in den Häusern; zum Brechen des Brotes (d. h. sowohl zu gemeinsamen Mahlzeiten als auch zum Abendmahl) traf man sich in den Häusern (Apg 2,46; 5,42). Das waren offensichtlich mehr als die beiden Häuser, die ausdrücklich erwähnt werden, der so genannte „Obersaal“ (Apg 1,13-15) und das Haus von Maria, der Mutter von Johannes Markus (12,12). 3.000 (2,41) bzw. 5.000 (4,4) Neubekehrte hätten hier kaum untergebracht werden können. Geht man jedoch von einer großen Zahl von Häusern aus, wird das Ganze plausibel.¹
Und ist es nicht bemerkenswert, dass das Pfingstereignis als Geburtsstunde der Gemeinde weder im Tempel, noch in einer Synagoge geschah, sondern offenbar in einem (privaten) Haus („oikos“, Apg 2,2)?
Der Start in die Mission
Die Vorstellung von einem veränderten Leben, durch das die Jesusnachfolger auffallen und Fragen wecken, durchzieht weitgehend die neutestamentlichen Briefe. Dabei wird klar, dass ein Apostel oder Evangelist eine Berufung hat, die sich davon unterscheidet bzw. darüber hinausgeht. Er ist mit dem Evangelium unterwegs und überschreitet dabei Grenzen verschiedener Art: geografische, kulturelle, soziale, religiöse, sprachliche.
Schon Jesus hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass die Apostel Grenzen überschreiten sollten und auch würden. Er sprach von „allen Völkern“ (Mt 28,20) und dem „Ende der Erde“ (Apg 1,8), doch sie blieben erst einmal in Jerusalem (Apg 5,28). Petrus erlebt dann, wie Gott Überzeugungsarbeit bei ihm leisten muss, bis er schließlich religiöse, kulturelle und soziale Grenzen überwindet und das Haus eines römischen Offiziers betritt (Apg 10) und dort Jesus verkündigt – ein ungeheurer Tabubruch für einen frommen Juden im ersten Jahrhundert!
Haben wir innerhalb Deutschlands noch Grenzen zu überschreiten? Wären wir – so wie Petrus – bereit, dafür auch religiöse oder soziale Tabus zu brechen? In welchen Regionen, Stadtteilen, Orten oder auch gesellschaftlichen Gruppen und Segmenten leben Menschen, die bisher nicht von Christen oder christlichen Gemeinden erreicht werden?
Gruß ans Haus
An vier Stellen in seinen Briefen (Röm 16,3.5; 1Kor 16,19; Kol 4,15; Phlm 1-2) spricht Paulus in seinen persönlichen Grüßen ausdrücklich von Gemeinden in einem bestimmten Haus und weitere Stellen deuten auf die Existenz vieler Hausgemeinden in verschiedenen Städten hin. Besonders beeindruckend ist hier die lange Reihe von Grüßen am Ende des Römerbriefes (Röm 16,1-23). Sieben Hausgemeinden lassen sich aus dieser Aufzählung von namentlichen Grüßen mit hoher Wahrscheinlichkeit konstruieren und sehr vermutlich gab es in Rom noch weitere.²
Obwohl Paulus die Christen in Rom in ihrer Gesamtheit anspricht (Röm 1,7), gibt es für diese erste Zeit der christlichen Gemeinden in Rom (ca. 50-55 n. Chr.) keinen Hinweis auf ein räumliches Zentrum, sodass man von einem Netzwerk von Hausgemeinden sprechen kann.³ Das wird auch in der antiken Metropole Ephesus nicht anders gewesen sein, wo Paulus von seiner Verkündigung „öffentlich und in den Häusern“ spricht (Apg 20,17-38).
Mehr als ein Gebäude
Eckhard Schnabel hält in seinem umfassenden Werk „Urchristliche Mission“ fest: „Das ‚Haus’ (oikos, lat. familia) war in der Antike die zentrale und elementare gesellschaftliche Lebenswirklichkeit. Zum ‚Haus’ gehörten nicht nur Ehemann und Ehefrau, Eltern und Kinder, sondern auch Sklaven; in einem weiteren Sinn gehörten zum ‚Haus’ weitere Blutsverwandte, angeheiratete Verwandte und Freunde.“⁴ „Haus“ bezeichnet also nicht nur ein Gebäude, sondern vor allem auch eine jahrtausendealte soziale Struktur, die das Zusammenleben von Menschen – meist unter einem Dach – beinhaltet.
Es ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass somit im oikos praktisch alle sozialen Schichten der antiken Gesellschaft gegenwärtig waren – vom „Pater familias“ in gehobener Stellung bis hin zu den Sklaven. Diese Realität bestimmte offenbar auch die christlichen Gemeinschaften, was sich in den so genannten „Haustafeln“ der Paulusbriefe (Eph 5,22 – 6,5 und Kol 3,18 – 4,1) wie auch in den behandelten Gemeindeproblemen (z.B. 1Kor) widerspiegelt. Hier finden wir praktische Anweisungen für das Zusammenleben sehr verschiedener Menschen in den Hausgemeinden.
Weil die christliche Hausgemeinde der schon vorhandenen gesellschaftlichen Struktur einer Lebensgemeinschaft im Haus entspricht, waren damit auf ganz natürlichem Weg verschiedene Gesellschaftssegmente vertreten. Das Zusammenleben aller ohne Unterschied in Liebe vereint in Christus (Gal 3,28) sprach ohne Zweifel für sich selbst!
Heute noch
Mit der Zeit wurde aus dieser Oikos-Struktur in den westlichen Gesellschaften die (klein-)bürgerliche (Klein-)Familie. Die gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Individualismus hat sich inzwischen rasant beschleunigt, was sich an der zunehmenden Anzahl der Single-Haushalte wie auch der immer stärker empfundenen Einsamkeit zeigt.
Eine festgefügte Oikos-Struktur wie in der Antike wird es hier kaum geben, doch wenn wir das „Haus“ als den Raum verstehen, in dem Menschen ihr Leben verbringen, in dem ihre Freunde sind und wo sie sich gerne aufhalten – dann öffnet sich der Blick auf verschiedenste oikos-ähnliche Strukturen, Gemeinschaften und Gruppen.
Das Konzept der Hausgemeinde hilft uns, wie zu neutestamentlichen Zeiten auf die gesellschaftlichen Realitäten einzugehen und Menschen dort mit dem Evangelium zu erreichen und Gemeinden zu gründen, wo sie leben.
Eckhard Schnabel schreibt: „Der antike oikos im Sinne von Haus als Wohnraum und familiärem Hauswesen wurde Missionsstützpunkt, Gründungszentrum einer Ortsgemeinde, Stätte der Versammlung zum Gottesdienst, Herberge für die Missionare (…) und natürlich auch unmittelbarer und entscheidender Ort christlicher Lebensgestaltung.“
Wir sind überzeugt, dass dies auch hier und heute wieder geschehen kann!
Wolfgang Klöckner
…lebt und arbeitet seit vielen Jahren mit seiner Frau Ute im Allgäu, wo sie die Gründung und den Aufbau einiger Gemeinden gestartet und unterstützt haben. Sie begleiten und fördern verschiedene missionarische Projekte in der Region. Wolfgang engagiert sich darüber hinaus im Vorstand der Deutschen Inlandmission (DIM).
Fußnoten
1 Neuere Untersuchungen gehen von bis zu 120.000 Einwohnern im damaligen Jerusalem aus, ohne die
anwesenden Festpilger. Auf diesem Hintergrund sind z. B. 150 Hausgemeinschaften mit Jüngern Jesu leicht
vorstellbar und die Gesamtzahl läge in etwa bei 10 Prozent der Gesamtbevölkerung
2 Eckhard J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal: R.Brockhaus 2002, S.789-790.
3 Ebd. S. 791
4 Ebd. S. 583
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